Nur 500 Meter lang, aber mehr als 400 Jahre Geschichte – selbst auf St. Pauli ist die Große Freiheit eine Besonderheit. Auf unsere Initiative hin präsentiert sich die Große Freiheit zum Tag des offenen Denkmals (jeweils der 2. Sonntag im September) von einer anderen Seite: Als Keimzelle St. Paulis und Denkmal moderner Unterhaltungskultur.
Mit dem BID Reeperbahn+ organisieren wir von 13-18 Uhr alle 30 Minuten kostenlose Führungen vom Beatlesplatz bis zur St. Joseph Kirche. Dort gibt es die Möglichkeit, die einzigartige Krypta und »Gründungsurkunde« der Freiheit zu besichtigen und mit Zeitzeugen bei Kaffee und Kuchen für einen guten Zweck ins Gespräch zu kommen.
Große Freiheit – 400 Jahre Sex, Drags & Rock’n Roll
Als die Straße 1610 in der Stadt Altona angelegt wurde, war an St. Pauli noch nicht zu denken. Ursprünglich war die Große Freiheit eine Gründung des Grafen Ernst zu Holstein-Schaumburg (1569-1622). Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als in Europa nach der Reformation Glaubenskriege tobten, erlaubte er verfolgten Katholiken, Mennoniten, Juden und anderen Glaubensfüchtlingen, sich am Rande »seiner« Stadt niederzulassen und dort ihre Religion frei auszuüben (daher auch der Straßenname).
Außerdem hob er für die Große (und Kleine) Freiheit den Zunftzwang auf, sodass Handwerker, die in keiner dieser Vereinigungen Aufnahme fanden, trotzdem ihrem Gewerbe nachgehen konnten. Die »Leben und leben lassen«-Politik gab es aber nicht umsonst, sondern gegen Abgabe an die gräfliche Steuerkasse.
Dennoch: Das tolerante Klima der Großen Freiheit war der geeignete Nährboden für deren erste Blütezeit. Die Straße wurde zu einem Mittelpunkt religiösen Lebens unterschiedlicher Konfessionen, die hier ihre Gotteshäuser errichteten. Markant waren die Kirchen der Mennoniten und der Katholiken, deren imposanter Barockbau St. Joseph bis in die Gegenwart erhalten geblieben ist (Große Freiheit 43).
Große Freiheit – erst Glaubensfreiheit, dann Zügellosigkeit
Eine Blüte anderer Qualität erlebte die Große Freiheit ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Gaststätten, Tanz- und Gartenlokale profitierten vom Wachstum Hamburgs und Altonas und dem Aufschwung St. Paulis zum städtischen Amüsierviertel. Die Große Freiheit wurde zum Vergnügungsboulevard für einfaches und bürgerliches, in- und ausländisches Publikum.
Besonders mondän wurde es in den 1920er Jahren, als in der Großen Freiheit 11 mit dem Varieté Neuchina der Ferne Osten einzog. Das Lokal war ein beliebter Treffpunkt der kleinen chinesischen Gemeinde, die sich in der Nachbarschaft niedergelassen hatte (vor allem in der Schmuck- und Talstraße, Hamburgs sog. »Chinesenviertel«).
Schillernde Shows, zünftige Feste, Sex, Drugs und – Pferdereiten; auf der Großen Freiheit konnte man alles in nur einer Nacht erleben.
Im »Dritten Reich« ging das Vergnügen weiter. Doch ob es bei »arisierter« Tanzmusik, bei Tanzverbot und Verdunkelung im realen Hippodrom (Große Freiheit 10-14) so heiter zuging, wie der singende Hans Albers im Film »Die Große Freiheit Nr. 7« (1943) glauben machen soll, darf bezweifelt werden.
Nach Kriegsende erlebte das Amüsiergewerbe einen Boom, denn außer Unterhaltung gab es für die Reichsmark nichts zu kaufen. Das änderte sich mit der Einführung der »DM« 1948 buchstäblich über Nacht. Weil man nun lieber in lange entbehrte Konsumgüter investierte statt in einen Nachtclub-Besuch, hatten die Lokale Mühe, Gäste anzulocken.
U. a. nackte Haut sollte das ändern. So schoss ein Striptease-Kabarett nach dem anderen aus dem Boden. Gerade in den prüden 1950er/-60er Jahre war damit ein schlechter Ruf vorprogrammiert. Hinzu kamen Abzocker-Preise, Schlägereien, Überfälle – um die Großen Freiheit, um St. Pauli überhaupt, machte viele jetzt lieber einen Bogen.
Viele, aber zum Glück nicht alle: Im Star-Club feierte zum Beispiel die halbstarke Jugend ihre Beat-Helden, allen voran die Beatles. Und auch die Live-Shows des prachtvollen Sex-Theaters Salambo waren gut besucht.
Die Große Freiheit heute – mehr als »Sex, Drags and Rock’n’roll«
Heute ist die Große Freiheit wieder »salonfähig«. U. a. dank einer weiterhin einzigartigen Mischung aus Sex, Drags und Rock’n’roll und einzigartiger Lokale: Darunter die Locations von Olivia Jones, Strip-Clubs wie »Susis Show Bar« und das Dollhouse, Konzert-Locations wie die Großen Freiheit 36 und eine einzigartige Kirche mit sehenswerter Krypta, die wie ein Fels in der Brandung mitten im bunten Treiben steht.
Sich auf dieser Straße zu amüsieren, oder auch »nur« mit Fotoapparat zu flanieren, ist kein »Hamburg-Souvenier« für den Koffer, sondern fürs Gemüt.
Kostenlose Führungen zum »Tag des offenen Denkmals«
in Zusammenarbeit mit dem BID Reeperbahn+ und der St. Joseph Gemeinde,
Sonntag, 08.09.2018, 13-18 Uhr, alle 30 Minuten,
ab Beatlesplatz, 20359 Hamburg