Es gibt Straßen, die sind mehr als nur Adressen — sie sind Symbole. Die Hafenstraße in Hamburg-St. Pauli ist so ein Ort. In den 1980er Jahren wurde sie zur berühmtesten besetzten Straße Deutschlands, zum Symbol für Widerstand gegen Immobilienspekulation und zur Keimzelle alternativer Wohnformen. Heute ist sie ein buntes, lebendiges Quartier direkt am Hafenrand — ein Beweis dafür, dass Bürgerbeteiligung Geschichte schreiben kann.
1981: Als der Widerstand begann
Die Geschichte der Hafenstraße beginnt mit einem Problem, das Hamburg bis heute kennt: Wohnungsmangel und Immobilienspekulation. Die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA ließ die um 1900 erbauten, architektonisch anspruchsvollen Häuser am Hafenrand über Jahre verkommen. Wo einst Familien lebten, sollten profitable Büroimmobilien entstehen — eine „Perlenkette der Stadt“ aus Hochhäusern.
Im Herbst 1981 besetzten Studierende und Autonome die teils leerstehenden Häuser in der Hafenstraße und der Bernhard-Nocht-Straße. Es war eine „stille“ Besetzung — die Aktivisten zogen nach und nach in die zwölf vom Abriss bedrohten Häuser. Dass die Verträge mit „B. Setzer“ unterschrieben wurden, bemerkte zunächst niemand.
Die Jahre des Konflikts: 1982-1987
Was als Protest gegen Leerstand begann, entwickelte sich zu einem jahrelangen Konflikt, der ganz Hamburg beschäftigte. 1982 wurde die Besetzung öffentlich gemacht, doch die Bewohner blieben. Es folgten Jahre der Auseinandersetzungen: Stromkappungen durch die HEW, Durchsuchungen der Polizei und immer wieder Räumungsversuche.
Die Hafenstraße polarisierte die Stadt. Für die einen war sie ein Symbol für Widerstand gegen kapitalistische Profit-Interessen, für die anderen ein „rechtsfreier Raum“, in dem Staat und Recht nicht mehr galten. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi nannte sie eine „offene Wunde Hamburgs“.
November 1987: Die Barrikaden-Tage
Im November 1987 eskalierte der Konflikt. Als die Verhandlungen scheiterten, errichteten die Bewohner meterhohe Barrikaden rund um die Häuser. 10.000 Polizisten standen mit schwerem Räumgerät bereit, die Anti-Terroreinheit GSG 9 wurde geordert. Die Presse sprach von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“.
Doch dann die überraschende Wendung: Am 20. Dezember 1987 demonstrierten 12.000 Menschen für den Erhalt der Häuser. Die breite Solidarität der Hamburger Bevölkerung zwang die Politik zum Umdenken. Bürgermeister von Dohnanyi bürgte persönlich mit seinem Amt für einen neuen Pachtvertrag — unter der Bedingung, dass alle Barrikaden sofort abgebaut würden.
1995: Der Frieden am Hafenrand
Der Weg zum dauerhaften Frieden war lang und steinig. 1993 wurde der Pachtvertrag erneut gekündigt, doch die Bewohner kämpften weiter. Schließlich, nach fast 15 Jahren Konflikt, kam 1995 die Lösung: Die Stadt verkaufte die Häuser für zwei Millionen Mark an die eigens gegründete Genossenschaft „Alternativen am Elbufer“.
Die Besetzung hatte Erfolg. Der Abriss wurde verhindert, die Bewohner konnten bleiben. Doch der Preis war die Anerkennung der „Spielregeln des Rechtsstaates“ — ein notwendiger Kompromiss, der den tatsächlichen Kräfteverhältnissen entsprach.
Heute: Park Fiction und lebendige Nachbarschaft
Heute ist die Hafenstraße ein buntes, alternatives Quartier mit Szene-Gastronomie wie dem „Überquell“ in den Riverkasematten und farbenfrohen Hausfassaden. Ohne die Besetzung von 1981 wäre von diesem lebendigen Viertel nichts übrig geblieben.
Ein besonderes Erbe des Widerstands ist der Park Fiction (offiziell Antonipark). Wo ursprünglich weitere Bebauung geplant war, entstand durch Bürgerbeteiligung ein einzigartiger öffentlicher Park mit Blick auf Hafen und Elbphilharmonie. Die drei Metallpalmen und der „Fliegende Teppich“ – eine geschwungene Rasenfläche – sind zu Wahrzeichen geworden. Das Projekt wurde sogar auf der Documenta 2002 in Kassel ausgestellt.
Ein Vermächtnis des Widerstands
Die Geschichte der Hafenstraße zeigt: Bürgerbeteiligung kann Geschichte schreiben. Aus dem Protest gegen Immobilienspekulation entstand nicht nur der Erhalt historischer Bausubstanz, sondern auch neue Formen des Zusammenlebens und der Stadtgestaltung.
Wie die Große Freiheit steht auch die Hafenstraße für den Kampf um Freiräume in der Stadt. Sie zeigt, dass Widerstand sich lohnen kann — auch wenn der Weg lang und steinig ist.
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Von besetzten Häusern zu lebendigen Nachbarschaften, von Barrikaden zu Bürgerbeteiligung — die Hafenstraße erzählt eine der bewegendsten Geschichten Hamburgs. Doch das ist nur ein Teil der faszinierenden Vergangenheit von St. Pauli.
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