1922 wurde die Heinrich- in „Herbertstraße“ umbenannt. Neben der Reeperbahn und der Großen Freiheit ist es St. Paulis wohl berühmteste Straße. »Schuld« daran sind eigentlich ein paar einfache Tore und Verbote.
»Die Nazis haben die ersten weltberühmten Sichtblenden bauen lassen. Eigentlich wollten sie dahinter das sündige Laster verstecken. Ironie ist, dass sie dadurch die Menschen noch neugieriger und die Straße eigentlich erst weltberühmt gemacht haben.«, erzählt Olivia Jones.
Noch heute bieten in der Herbertstraße Sexarbeiterinnen ihre Dienste an. Viele präsentieren sich in Schaufenstern.
Frauen (und Jugendliche unter 18 Jahren) haben haben dort offiziell immer noch keinen Zutritt. Darüber informiert auch ein Schild an den Toren. Doch wie kam es dazu? Immerhin ist die Herbertstraße ja eine öffentliche Straße!
Unsere Tourguides rund um Olivia Jones und unsere Kult Kieztouren Historikerin Eva Decker sind der Sache für Euch auf den Grund gegangen.
Wir haben Erstaunliches zutage gefördert: Wusstet Ihr zum Beispiel, dass Prostitution auf St. Pauli eigentlich bis heute verboten ist und warum die Prostituierten immer zur gleichen Uhrzeit und nur auf einer Seite der Davidstraße »aufmarschieren«?
Unsere Kiez-Experten klären Euch auf.
In der »Verordnung über das Verbot der Prostitution« vom 21. Oktober 1980 (oben die Originaldokumente) wird St. Pauli mit Beschluss des Senats ab November 1980 zum Sperrbezirk erklärt. Das Verbot ist bis heute gültig. Aber trotzdem ist St. Pauli ja immer noch irgendwie auch ein Rotlichtbezirk. Die Reeperbahn gilt nicht umsonst als »Geile Meile«. Wie passt das alles zusammen?
Prostitutionsverbot auf St. Pauli – eine Regel, viele Ausnahmen
Ganz einfach: Wie immer gilt auch in diesem Fall »keine Regel ohne Ausnahme«. Es gibt sogar mehrere Ausnahmen. Eine ist die Herbertstraße. Hier ist Prostitution generell erlaubt. Eine weitere gilt laut Beschluss von 1980
»… in dem Gebiet, das begrenzt wird durch die Straßen Davidstraße – Erichstraße – Silbersackstraße – Reeperbahn, nur für die Stunden von 6 bis 20 Uhr. Die Flächen der begrenzenden Straßen sind mit Ausnahme der Reeperbahn und der Ostseite der Davidstraße mit in das Gebiet eingeschlossen.«
Damit erklärt sich dann auch, warum auf dem Kiez das »bunte Treiben« immer um Punkt 20 Uhr beginnt und warum die »Mädels« in der Davidstraße immer nur auf der rechten Seite (von der Reeperbahn aus gesehen) aufmarschieren.
Das Zutrittsverbot für Frauen in der Herbertstraße
Aber wie kommt es jetzt, dass Frauen – mit Ausnahme der dort »arbeitenden Bevölkerung« – nicht in die Herbertstraße dürfen?
Schuld waren seinerzeit rücksichtslose Stadtführungsanbieter (im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern nehmen unsere Guides nicht nur Rücksicht auf Anwohner, sondern auch aufs Milieu!) und zu »sensationshungrige« Gäste, was zum sog. »Zutrittsverbot für Frauen in der Herbertstraße« vom 02.10.1980 geführt hat. Darin heißt es:
»Nach Feststellungen der PRW 15 ist es in letzter Zeit sehr häufig zu Konfrontationen zwischen Prostituierten in der Herbertstraße und weiblichen Passantinnen gekommen. Die Zahl der weiblichen Besucher hat ständig zugenommen, auch ist es für zahlreiche Reiseunternehmen zur Gewohnheit geworden, ihre, aus männlichen und/oder weiblichen Personen bestehenden Reisegruppen massiert durch die Herbertstraße zu schicken.
Häufig haben die weiblichen Passantinnen die Prostituierten provoziert, was dann z.T. zu handgreiflichen Gegenreaktionen der Prostituierten geführt hat.
PD [Polizeidirekt.] Mitte ist der Auffassung, daß diese konkreten Gefährdungen von Passantinnen und Prostituierten nur durch ein gänzliches Zutrittsverbot für Frauen verhindert werden kann (bisher besteht an beiden Zugängen zur Herbertstraße nur die Aufschrift, das Frauen unerwünscht sind).
Gegen ein solches, auf § 3 SOG gestütztes Zutrittsverbot sind rechtliche Bedenken nicht erkennbar. Das Verbot ist rechtlich – wie Verkehrszeichen – als Verwaltungsakt im Wege der AIlgemeinverfügung anzusehen. Es soll an den beiden Zugangsschranken zur Herbertstraße durch Aufschrift angebracht werden und folgenden Wortlaut haben:
›Zutritt für Jugendliche unter 18 Jahren und Frauen verboten POLIZEI HAMBURG‹
Die Sache ist auf einer Besprechung mit der Leitstelle für die Gleichberechtigung der Frau abgestimmt. Die stellv. Leiterin der Leitstelle sah in dem Verbot keinerlei Diffamierung der Frau, sondern im Gegenteil, eine vernünftige Schutzmaßnahme für die Frauen beiderlei Gruppen.
Auch das Bezirksamt Mitte als Wegeaufsichtsbehörde, ist informiert.
Bezirksamtsleiter und Bezirksrechtsamt haben ebenfalls keine Bedenken geäußert.«
Wie die Herbertstraße Olivia Jones zu einem Club inspirierte
Dieses Zutrittsverbot für Frauen wurde zwar immer wieder hinterfragt, ist aber bis heute unverändert gültig. Und es führte dazu, dass Olivia Jones – quasi als ausgleichende Gerechtigkeit – in der Großen Freiheit 2010 den Menstrip-Club »Olivias Wilde Jungs« eröffnet hat, zu dem nur Frauen Zutritt haben.
Interessant, oder?!
Wer noch mehr Interessantes über St. Pauli und das Milieu erfahren möchte, dem legen wir unsere Rotlicht-Kieztouren ans Herz. Die spannendsten Infos aus der Geschichte St. Paulis arbeitet unsere KultKieztouren Historikerin Eva Decker mit ihren Führungen auf.
Übrigens: Wer gefahrlos einen Blick in die Herbertstraße wagen möchte, muss nur auf den Müllwagen warten, für den sich regelmäßig die Tore öffnen. Und auch beim Gedenktag des BID Reeperbahn+ zum 100-jährigen der Herbertstraße am Sonntag, den 02.10.2022, sollen die Tore von 10-18 Uhr offen stehen. Außerdem öffnen an dem Tag ab 20 Uhr Olivias Wilde Jungs auch für Männer.
Herbertstraße – Aufarbeitung eines dunklen Kapitels
Viele halten die Sichtblenden der Herbertstraße für eine besondere Attraktion. Uns war es deshalb schon immer wichtig, im Rahmen unserer KultKieztouren auch auf die Schattenseiten hinzuweisen:
Die berühmten Tore sind ein Relikt der Nationalsozialisten, die dahinter das Laster und Elend verstecken und kasernieren wollten. Die tragischen Schicksale der Menschen, die hinter den Toren unter unmenschlichen Bedingungen lebten und arbeiteten, wollen auch wir wieder sichtbar machen.
Deshalb unterstützen wir ein Projekt des von uns mitbegründeten Vereins „Lebendiges Kulturerbe St. Pauli“ und unserer KultKieztouren Historikerin Eva „Doc“ Decker:
Ein besonderer Bordstein wird auf das dunkle Kapitel der Herbertstraße aufmerksam machen und mit einem von uns unterstützten Crowdfunding wollen wir helfen, Herberstraßen-Schicksale zu erforschen und so vor dem Vergessen zu bewahren.
Über das Projekt berichten wir auch im Rahmen ausgewählter KultKieztouren.
Herbertstraße – so sieht’s drinnen aus
Einen seltenen Einblick in die Herbertstraße sieht man auf diesem gemeinfreien Bild aus WikiCommons von Alexander Dreyer: